Interview

Wir befinden uns in einem ständigen Prozess, altbewährte Strukturen aufzubrechen. Das wirft regelmäßig Fragen auf. Ein paar davon beantworten wir hier.

Wenn unsere Gesellschaft mit allem übersättigt ist, welche Relevanz haben dann Marken überhaupt noch?

Wir gehen von einer aufgeklärten Gesellschaft aus. Gleichzeitig verkaufen uns viele Marken/Unternehmen für dumm. Marken haben die Möglichkeit Gruppen von Menschen über ein starkes Narrativ zu mobilisieren. Es wird Zeit, dass es die richtigen Narrative und richtigen Wege sind! Marken gestalten unsere Gesellschaft aktiv mit.

Warum geht der Shift von Brand Building zu Community Building? Was ist der elementare Unterschied?

Brand Building basiert auf dem Prinzip des Sendens. Community-Building ist Beziehungsmanagement. Die Empathie als Superkraft. Wer nicht zu jedem Zeitpunkt ein klares Verständnis über seine Marke, seine Organisation und den Menschen hat, sich seiner Identität und Wirksamkeit nicht bewusst ist, kann nicht ehrlich kommunizieren und wird die Menschen nachhaltig nicht erreichen. Menschen folgen Menschen, Menschen suchen Menschen, Menschen inspirieren Menschen. Auszug vom Zukunftsinstitut, Trendreport 2022: „Die Basis für erfolgreiche Unternehmungen bilden Beziehungen, die von Vertrauen geprägt sind. Fünf Jahrzehnte nach dem Big Boom des Konsumkapitalismus geraten wir nun in eine neue Phase, in der sich der unternehmerische Beziehungsradius erweitert. Eine neue Beziehung des „Kapitals“ zu Gesellschaft, Natur und Individuen (zum Beispiel Mitarbeitenden) entsteht, eine neue Ausrichtung von Innovationen – die nun einen echten Beitrag zur Lösung von Problemen liefern können und müssen, die früher der Politik oder der Gesellschaft zugeschrieben wurden. Dieser „ethische Druck“ führt zu einer Umlenkung der Kapitalströme. Zu den höchstnotierten Firmen der Welt gehören heute Tesla, Impossible Foods und Biotech. Erneuerbare Energien und zirkuläre Materialtechniken sind die neuen Leitbranchen. Billionen fließen in den Dekarbonisierungssektor (vgl. The Economist 2021). Die großen Finanzfonds sortieren ihre Assets neu in Richtung nachhaltiger Transformationskriterien. Die neue Sinn-Ökonomie, die in diesem Prozess entsteht, umfasst vier zentrale Bereiche: die Mitarbeitenden als Mit-Akteure und Mit-Unternehmende jenseits von alten Abhängigkeiten die Gesellschaft und ihre Zukunftsbedürfnisse in einer postfossilen Wirtschaft die Produktionsbedingungen und ihre Kreisläufe die Natur, repräsentiert durch Klima und Artenvielfalt.“

Was ist Community Thinking und wie kann das gefördert werden?

Hinter Community Thinking steckt das Mindset, dass nicht das Top-Down-Ideal verfolgt, sondern aus den Interessen der Community heraus Entscheidungen trifft. Sie sogar dabei integriert und auch entscheiden lässt. Das kann gefördert werden, in dem Formate bzw. Möglichkeiten des Austauschs geschaffen werden. Das muss nicht immer gleich Social Media sein. Grundsätzlich gilt: One Way = No Way. Das klingt einfacher als es oft ist, denn es bedeutet, dass nur ernst gemeinter Austausch relevante Insights und Mehrwert bietet. Und es bedeutet auch, dass es entsprechende Resourcen und Prozesse bedarf.

Wie würdet ihr eine selbstbestimmte Gemeinschaft beschreiben?

Selbstbestimmung ist freie Persönlichkeitsentfaltung. Mit Selbstbestimmung ist gemeint, dass jeder Mensch selbst darüber entscheiden darf, wie er leben, arbeiten, konsumieren, aussehen, sprechen, fühlen, denken…möchte. Die Entwicklung hin zu einer stärkeren Individualisierung und Unabhängigkeit wirken auf alle Lebensbereiche und -phasen stark ein. Eine selbstbestimmte Gemeinschaft ist der Selbstbestimmung im Kollektiv gleichzusetzen. Frei in der Gemeinschaft. Elementar sind dabei die Wir-Werte, wie Zugehörigkeit, Solidarität, Empathie und Hilfsbereitschaft, Ehrlichkeit, Offenheit und Transparenz. Je nachdem wie stark die Selbstbestimmung in einer Gemeinschaft ausgeprägt ist, wird die Zugehörigkeit und somit die Kraft und Dynamik bestimmt – wie jeder Einzelne sich einbringt und auf die sich verändernden Dynamiken und Beziehungen reagiert. Oder auch: wie wir – als Gesellschaft und Individuen – bewusst positive Beziehungen knüpfen zwischen Menschen, Unternehmen und dem Planeten.

Female Empowerment und Frauenquote. Ein Statement.

Wir wollen sie alle nicht, die Quote. Aber wir brauchen sie unbedingt. Die Fakten der letzten Jahrzehnte belegen das eindeutig. Frauenquote ist Chancengleichheit. Und davon sind wir leider noch weit entfernt, Auf den ersten Blick geht es für viele bei der Frauenquote darum, bestimmte Positionen mit Frauen besetzen zu müssen. Das ist Quatsch. Es geht um Gleichbehandlung, Abbau von Vorurteilen, Anti-Diskriminierungen, um eine Modernisierung der Führungskultur, um mehr Diversität und Offenheit. Es geht um unsere Zukunft.

hi, tilda in a nutshell: Warum ist hi, tilda Teil von einem neuen, nachhaltigen Consulting Verständnis?

Wir sind selbst, persönlich, so erschrocken über die verbreitete Einstellung des Höher/Schneller/Weiter, in einem System, dass auch in den kommenden Jahren/Jahrzenten noch männerdominiert sein wird, dass wir auch die Notwendigkeit einer Gegenbewegung sehen. Wer mit uns zusammenarbeitet wird sich mit anderen Fragestellungen auseinandersetzen (müssen).

Was bedeutet Community für hi, tilda?

Zuallererst steht der Begriff für ein neues Selbstverständnis der Zukunftsgestaltung.
Im Kern steht der Wunsch nach Mitgestaltung von Gesellschafts-, Wirtschafts- und Umweltthemen. Community bedeutet Zugehörigkeit, Verbundenheit, Teilhabe und Mitgestaltung. Für uns geht
Community weit über das Zielgruppenverständnis hinaus. Menschen möchten einen Mehrwert erfahren und nicht nur Konsument einer Kampagne, eines Incentives oder einer Initiative sein. Sie möchten handlungsfähig(er) werden und sich zugehörig fühlen. Menschen vermeiden Individualismus zugunsten von gemeinschaftsorientierten Konzepten. Daher ist Community für uns einer der elementarsten Ressourcen der Zukunft.

Welche Ressourcen müssen wir gemeinsam schaffen für ein nachhaltiges Morgen?

Zeit. Auch, wenn sie uns davonzurennen scheint. Wenn wir uns keine Zeit nehmen für Innovation, Austausch, Pausen etc. bleiben wir im Hamsterrad „Status Quo“. Dann gibt es auch kein nachhaltiges Morgen.

Stehen Wirtschaft und Nachhaltigkeit in einem kapitalistischen System im Gegensatz zueinander?

Die große Grundsatzdiskussion. Zu Ende gedacht: ja. Wir glauben aber, dass es mehrere Wege gibt wirtschaftlich zu sein. Die elementaren Fragen sind: Welchen gesellschaftlichen Mehrwert bietet ein Unternehmen? Welches Narrativ schafft ein Unternehmen, um Menschen zu mobilisieren? Welche Vorbilder können, auch in kleinen Schritten geschaffen werden die Perspektivwechsel herbei führen?

Wie eignet ihr euch Wissen über gesellschaftliche und soziale Transformationsprozesse an?

Beobachten. Zuhören. Lesen. Austauschen. Lernen. Ständige Neugier. Wir sind beide im Grunde dauerinteressiert.

Wie wichtig ist eine Positionierung zu gesellschaftsrelevanten Themen für Unternehmen?

Unternehmen senken ihre Marktchancen, wenn sie nicht proaktiv ihre Positionierung über gesellschaftsrelevante Themen hinaus erkennen, aufbauen und aktivieren. Der definierte Purpose stärkt die Identifikation und Sinnhaftigkeit, führt jedoch nicht zu Handlungsfähigkeit. Ich kann nicht verstehen, warum so viele Unternehmen Angst davor haben sich den gesellschaftsrelevanten Themen zu stellen. Mir macht es eher Angst, dass sie nicht handeln und an ihrem Sinn rumdoktern, anstatt in Aktion zu treten. Nur wer sich nachhaltig mit diesen Themen auseinandersetzt, kann zukunftsfähig bleiben.

Was macht ein hoher Grad an Zugehörigkeit aus?

Die Basis für echte Zugehörigkeit ist Partizipation und ein geteiltes Narrativ. Das einzigartige Gefühl der Zugehörigkeit erhöht die Loyalität, den Drang nach Verteidigung, den Wunsch nach Empfehlung und Mitteilung, das Bedürfnis nach Mitgestaltung. Co-Creation und Open-Innovation sind nur wirksam, wenn Menschen sich zugehörig fühlen. Alles andere ist eine pseudo Plattform, die nur aufrechterhalten wird, durch Content, der beigesteuert wird.